Als ich neulich meinen Schrank von Sommer auf Winter umräumte, packte mich das kalte Entsetzen: Keine vernünftigen Herbstpullover. Acryl, Polyester und ähnliches grinsten mich fröhlich an. Ich fragte mich ernsthaft, ob ich in den letzten fünf Jahren keinen Wert auf “gute Fasern” gelegt habe! Aber wieso werden mir Polyester und Co. eigentlich überall madig gemacht? Was ist denn so viel besser an Baumwolle oder Wolle? Was macht die Kunstfaser so schlecht gegenüber der Naturfaser? Ich persönlich hielt vor meiner Recherche Baumwolle für eines der wenigen vertretbaren Materialien. Schaut man sich aber in den gängigen Onlineshops um, scheint es wirklich eine Unmöglichkeit zu sein, einen Pullover zu finden, der nicht große Anteile an Polyester, Acryl oder sonstwas enthält. Schon bei den angepriesenen Produktbeschreibungen musste man eher die Wikipedia bereithalten, um überhaupt zu entziffern, woraus den Pullover xy nun hergestellt ist. 100% Baumwolle war höchst selten dabei, zumindest in der Preisklasse in der ich gesucht habe – unter 100€. Aber was ist eigentlich drin, in den nicht-Baumwoll-Pullovern? Und ist Baumwolle wirklich so toll? Diesen Fragen bin ich auf den Grund gegangen und bin ein wenig erschüttert. Und verwirrt bin ich nun auch, denn nach stundenlanger Recherche bin ich zwar schlauer als zuvor, weiß aber dennoch nicht, welches Material mein neuer Pullover also bestenfalls enthalten sollte… Welche Fasern sind denn nun eigentlich in unseren Klamotten drin? Ein Blick aufs Etikett liefert schier unüberblickbar viele unterschiedliche Materialien. Dabei unterscheidet man in erster Linie zwischen Natur- und Kunstfasern. Bei den Naturfasern wiederum stammen manche vom Tier, manche sind pflanzlichen Ursprungs. So weit, so klar. Aber schon stehe ich vor dem ersten moralischen Problem: Wie werden die Tiere, deren Haar man verwendet damit wir im Winter nicht mit den Zähnen klappern, überhaupt behandelt? NaturfasernAngora: Angora-Kaninchen haben bekanntermaßen ja kein schönes Leben, die Schur ist für sie eine Qual und ich schäme mich ja gerade zu für die zwei Pullis in meinem Besitz mit einem klitzekleinen Angora-Anteil. Zum Glück finde ich Angora-Wolle ohnehin unheimlich kratzig. Ja, genau, die Pullis die ach so flauschig sein sollen, fühlen sich auf meiner Haut an wie Stahlwolle. Ein neuer Pulli mit Angorawolle würde also weder aus Tragbarkeits- noch aus Moralgründen in Frage kommen. Wolle und Schurwolle: Nun ist aber fraglich, ob Schafe und Ziegen denn generell besser behandelt werden als Hasen? Geht es einem stinknormalen Woll-Schaf gut? Die Frage lässt sich wohl nicht pauschal beantworten und wird von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich sein. Dennoch muss ersteinmal zwischen Wolle und Schurwolle unterschieden werden. Erstere kommt von Tieren, die geschlachtet wurden oder gestorben sind, zweitere wird vom lebendigen Schaf geschoren. Zumindest liefert ein Standard-Schaf um die 4kg Wolle pro Schur, und die erfolgt meist nur einmal pro Jahr. Sprich, aus der Wolle eines Schafs lassen sich ca. 4 Pullover herstellen. Laut Peta leiden die Schafe dennoch unter der Schur, da diese oft wegen der Masse an Tieren schnell erfolgt und dadurch nicht besonders sorgsam mit den Schafen umgegangen wird. Kaschmir, Mohair & Co: Nicht viel besser scheint es mit
Kaschmir, Mohair, und anderen von Tieren stammenden Fasern zu sein. Von der Haargewinnung abgesehen, ist Kaschmir noch aus einem anderen Grund bedenklich. Im Gegensatz zu Schafen liefert eine Kaschmirziege nur etwa 150g Wolle (pro Jahr!), was wirtschaftlich gesehen für den Züchter eben nur dann lohnenswert ist, wenn sehr viele Ziegen gehalten werden. Diese fressen Gräser allerdings inklusive Wurzeln, was bedeutet, dass die Haltung von größeren Ziegenherden zur Desertation führen – vielerorts
wurde bereits ein Weideverbot verhängt. Seide: Gut, ich habe noch keinen Winterpulli aus Seide gesehen, aber der Vollständigkeit halber wollte ich das Schicksal der Seidenraupe doch noch kurz anreißen. Diese wird vor dem Schlüpfen mit Wasserdampf oder heißem Wasser getötet, denn durch den Schlüpfvorgang würde der Kokon zerstört und für die Seidenproduktion demnach unbrauchbar. Ob man jetzt zu Raupen die gleiche emotionale Bindung wie zu Schafen und Häschen aufbauen mag, sei jedem selbst überlassen – aber Tier bleibt doch eigentlich Tier. Gut, gut – kein Problem, dachte ich. Dann soll’s eben keine Tierfaser sein. Ich sagte ja bereits, dass es auch Naturfasern pflanzlichen Ursprungs gibt – also schauen wir doch mal, was es da so im Angebot gibt. Denn Pflanzen kann man ja zumindest schon mal nicht durch Schur und Co. quälen! Baumwolle: Aber nein, auch hier finden sich negative Aspekte, die mich am Kauf eines Baumwollpullovers zweifeln lassen. Die Baumwollpflanzen werden als Monokultur angebaut. Schädlinge, denen genau diese Pflanze besonders gut schmeckt, müssen bei einer Monokultur nicht darum bangen, dass im nächsten Jahr etwas anderes angebaut wird – nein, sie haben immer genug zu futtern. Daher können sie sich ideal vermehren, was dazu führt, dass große Mengen an Pestiziden verwendet werden müssen. Offenbar wird für Baumwolle auch sehr viel Wasser benötigt (was zum Beispiel zur Verlandung des Aralsees beitrug). Hm, Mist. Was bleibt denn da noch übrig?! Eine andere, sehr bekannte Faser, Leinen, scheint – zumindest nach dem, was ich herausgefunden habe – ein aus ökologischer Sicht sehr gutes Material zu sein: Es sind nicht so viele Chemikalien notwendig. Nachteil: Es scheint nicht sonderlich wirtschaftlich zu sein, Flachspflanzen anzubauen. Ob man das Material generell auch für Pullover verwenden könnte, kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber wer weiß? Leinen ist zwar ein sehr festes Material, aber vielleicht sind ja Leinenanteile vorstellbar? Stoffprofis bitte melden. Auf andere Naturfasern bin ich beim Auseinanderklamüsern meines Kleiderschranks und des gigantisch großen Onlineangebots nicht gestoßen. Aber ich denke, die am meisten vertretenen habe ich auch abgebacken. Kommen wir also zu Kunstfasern. Offenbar das No-Go, wenn man sich einen neuen Pulli kaufen mag. Auch die Muttis und Omis dieser Welt raten ihren Sprösslingen sicherlich: “Kauf’ dir einen vernünftigen Pulli, nicht dieses Plastik-Zeug!” Okay. Kunstfasern sind böse. Zumindest wenn man dem Volksmund glaubt. Aber wieso eigentlich? Welche gibt es überhaupt? Und was sind die Argumente dagegen? Fangen wir doch mal bei letzteren an. Ich habe mich in einigen Foren umgesehen, und die am weitesten verbreiteten Gegenargumente/Klischees/Meinungen sind:
Nun gut, die Argumente sind nicht aus der Luft gegriffen, wären für mich aber per se kein Gegenargument für einen Kunstfaser-Pulli. Auch bei Kunstfasern wird zwischen zwei Arten unterschieden: Kunstfasern, die auf natürlicher Basis (Cellulose, ein pflanzlicher Bestandteil) hergestellt werden (genauer: aus natürlichen Polymeren), wie zum Beispiel Viskose oder Modal, sowie Fasern aus synthetischen Polymeren, die also keine natürlichen Fasern beinhalten, sondern komplett chemisch hergestellt werden. Schauen wir uns doch mal genauer an, was in den Kunstfasern steckt – und finden vielleicht “bessere” Argumente gegen Kunstfasern? KunstfasernPolyester: Meist wird in Kleidung PET verwendet – ihr wisst schon, das gleiche Material wie Plastikflaschen. Es wird hergestellt aus Terephthalsäure und Ethylenglycol. Polyester ist knitterfrei, reißfest, witterungsbeständig und nimmt nur wenig Wasser auf – daher ist es vor allem für Sportklamotten gut geeignet. Das erklärt auch, wieso man darin so schwitzt – nein, man schwitzt gar nicht mehr, sondern die Fasern können die Flüssigkeit nur einfach nicht aufnehmen! Acryl: In unseren Pullis steckt meist Polyacrylnitril, welches ebenfalls chemisch hergestellt wird. Die Faser ist wollartig, warm, fühlt sich weich an und knittert nicht leicht. Wenn man lange Freude an seinem Acrylpulli haben möchte, sollte man die Pflegehinweise beachten – das Material ist hitzeempfindlich. Bei maximal 40° waschen und nicht zu heiß bügeln. In den Trockner sollte es am besten gar nicht. Keine Sorge, in die Luft fliegen würde der Pulli schon nicht. Aber es könnte passieren, dass er nach der zu heißen Behandlung einfach nicht mehr schön aussieht. Viskose: Viskose wird aus Cellulose hergestellt, gehört also nicht zu den synthetischen Fasern. Cellulose wird aus Pflanzenfasern gewonnen, unter anderem aus Holz oder Baumwollfasern (wo wir wieder bei der Baumwolle wären…). Diese wird dann mit Chemikalien behandelt, um Viskose herzustellen. Modal: Finde ich neuerdings immer öfter in Produktbeschreibungen. Modal wird, wie Viskose, aus Cellulose hergestellt. Bei Modal wird dieses jedoch ausschließlich aus Buchenholz gewonnen. Fazit: Kunst- oder Naturfaser? Oder ist das nicht so einfach?So. Nachdem ich mich informiert habe, um herauszufinden in welche Materialien ich künftig investieren soll, kann ich eigentlich nur aus Faust zitieren: “Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor.” Was zur Hölle ist jetzt besser? Sind Kunstfasern wirklich schlecht, nur weil sie nicht von Tieren und Pflanzen stammen? Oder sind Naturfasern eben genau deswegen schlecht, und ich sollte mich doch lieber für Kunstfasern entscheiden? Fragen über Fragen. UND DAS SIND NUR DIE FASERN! Dazu kommen ja noch die anderen bedenklichen Aspekte: Das Wohlergehen der Arbeiter/Innen, die teils fraglichen Produktionsbedingungen, die verwendete Chemikalien für Düngen, Schädlingsbekämpfung, Färben der Kleidung, Umweltaspekte, … Im Prinzip bin ich auch der Meinung, dass Naturfasern besser sind als Kunstfasern – aber nicht, wenn diese so gewonnen oder hergestellt werden. Ich dachte bisher ja immer, Baumwolle wäre so toll, aber auch dieses schöne naive Märchen hat nun ein Ende gefunden. Prinzipiell kann ich nur sagen, dass Baumwolle die einzige Naturfaser ist, die man problemlos auch im günstigen Preisbereich zu 100% in Pullovern vertreten findet. Sie ist doch (von der ethischen Seite her gedacht) irgendwo immer noch besser als die tierischen Fasern. Andererseits tragen Kunstfasern die gängigen Umweltrisiken mit sich. Also: Was kann man nun tragen, ohne nachts schweißgebadet (womöglich im Polyester-Schlafanzug) und von schlechtem Gewissen geplant aufzuwachen? Wie lautet nach diesem Artikel nun eure Antwort auf die Frage: Kunst- oder Naturfaser? Und vor allem: Welche? Kleiner Nachtrag: In einer Diskussion auf Facebook wurde ich noch gebeten, meine Quellen anzugeben, damit man sich noch weiter informieren könnte. Ich habe einige Infos direkt von einer Chemie-Doktorandin erhalten, die mir auch ein paar Paper aus dem Journal of Chemical Education zur Verfügung gestellt hat. Die kann ich natürlich nicht hochladen und sie sind auch online nicht (kostenlos) verfügbar. Aber sie meinte, die Infos in der Wikipedia wären in dem Bereich gut, und ich denke, das genügt euch auch. Ist ja hier keine wissenschaftliche Arbeit! ;) Hier also ein paar Lektüre-Anregungen zum Thema Fasern und Co.:
Ist Acryl ein guter Stoff?Acryl ist Wolle von der Optik und den Eigenschaften sehr ähnlich. Die Beschaffenheit des Stoffes ist weich, hautsympathisch, atmungsaktiv, knittert kaum und wirkt wärmend. Zudem ist der Stoff sehr lichtbeständig und eignet sich daher u. a. auch sehr gut für Kopfbedeckungen.
Ist Acryl Wolle gut?Acrylwolle ist im Gegensatz zu Schur- oder Baumwolle sehr leicht. Sie ist bis zu 40°C waschbar und damit ebenso pflegeleicht wie stabil. Sie eignet sich besonders gut für Baby- und Kinderkleidung, Decken oder andere größere Häkelarbeiten, deren Gewicht nicht allzu hoch sein soll.
Was ist acrylgarn?Acrylgarn ist ein künstlich hergestelltes Garn, welches sich in den vergangenen Jahren immer größerer Beliebtheit erfreut, nachdem es jahrelang als steifes und kratziges Material galt.
Was ist besser Polyacryl oder Baumwolle?Meistens wird Polyacryl nicht in Reinform, sondern mit Wolle oder Baumwolle gemischt verarbeitet, die Naturfasern verfilzen dadurch weniger. Polyacryl ist allerdings nicht hitzebeständig.
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